Wo Vergangenheit und Zukunft Südafrikas aufeinandertreffen – eine Radltour durch Soweto, Johannesburg

Pünktlich um 9 Uhr werde ich für meine 4 stündige Radltour durch Soweto mit Lebos BicycleTour durch Soweto abgeholt. Hohe Kriminalität, Müll, Slums, endlose Armut, Drogen, Prostitution, … Zum Glück fallen mir auch bald die Stichworte Nelson Mandela, Desmond Tutu, gewaltfreier Aufstand gegen das Apartheid Regime ein. Viel steht also nicht auf meiner geistigen Pro-Seite. War es wirklich die richtige Entscheidung die Girls nach Maboeng zum Shoppen und auf den Neighbourhood Market ziehen zu lassen und mich alleine auf die Tour zu begeben?

Jetzt ist es zu spät. Der Wagen hält und ich stehe vor Lebo´s Backpacker´s, mitten in SOWETO! Um genau zu sein, in Orlando West, Soweto. Dem Beverley Hills von Soweto. Vor mir eine bunt bemalte Wand, die als Fahrradständer für ca 50 Räder dient. Ca 30 internationale Mitradler schnappen sich je ein Rad und los geht es.

Die Geschichte Sowetos

Während des 1. Haltes erhalten wir, mit Blick über das Orlando (Fussball-) Stadium, hohen Abraumhalden und die 2 buntbemalten Kühltürme des ehemaligen Kraftwerks, eine Einführung in die Geschichte Sowetos. Soweto wurde 1904 gegründet, um die schwarzen Goldminenarbeiter aus der Innenstadt Johannesburgs auszusiedeln. Heute ist das Township-Konglomerat ein Vorort von Johannesburg, mit 3,5-5 Mio Einwohnern, bis zum Horizont reichenden Armensiedlungen aber auch Stadtteilen der etablierten Mittelschicht.

Die Stadt steht als Synonym für das erfolgreiche Aufbegehren der Farbigen gegen das Apartheid-Regime. Hier schlägt das Herz des schwarzen Südafrikas. Sie ist Mittelpunkt von schwarzer Kultur und Freiheitskampf.

Das Slumviertel Medowlands

Wir radeln in das Slumviertel Medowlands. Die Räder stellen wir an einer Blechhütte ab und gehen zu Fuß weiter. Die engen Lehmwege sind von gepflegten 1-Raum-Steinhäusern und Blechhütte, oft mit kleinen Vorgärten, gesäumt, darüber ein Gewirr aus Stromleitungen. Kinder spielen auf den Wegen, Erwachsene sitzen meist in Gruppen vor den Häusern, grüßen freundlich, Wäsche flattert zum Trocknen im Wind. Den vielen Menschen, die uns begegnen, fallen wir nicht weiter auf. Sie sind in Gesprächen vertieft und machen einen entspannten Eindruck. Einmal mehr bin ich von farbenfrohen Gewändern und oft sehr schicken Hüten der Frauen beeindruckt. Die Babys sind immer dabei und werden einfach auf den Rücken gebunden.

Fließend Wasser gibt es in den Häusern nicht. Vereinzelt stehen weiße langgezogene Steinhäuser an kleinen Plätzen. Das sind die sanitären Einrichtungen der Township. 10 Familien teilen sich ein „Bad“ mit WC und Dusche, zwischen den Häusern sind zusätzlich Wasserstellen, an denen, wenn es denn Wasser gibt, die Wäsche mit der Hand gewaschen wird. Oft haben die Besitzer der eh schon eng stehenden Steinhäuser noch Blechhütten angebaut. Sie bieten zusätzlichen Wohnraum für die Familie oder werden vermietet.

Es ist hier so beschaulich, sauber und ruhig, dass ich die Bewohner gut verstehe, die die enge Nachbarschaft nicht verlassen möchte, um paar Meter weiter in die neugebauten 3-stöckigen Häuser zu ziehen, wie es die Regierung will. Unser Guide erzählt uns, dass die Kriminalitätsrate hier überraschend niedrig sei. Jeder kennt jeden und man beklaut sich daher (besser) nicht gegenseitig.
Zurück auf den Fahrrädern machen wir Halt in einem kleinen Shop und essen warmes Schmalzgebäck.

Das Hector Pieterson Memorial

Weiter geht es nun zu dem historischen Höhepunkt der Tour: dem Hector Pieterson Memorial. Das Memorial erinnert an den Schüleraufstand von 1976 und dem wohl brutalsten Massaker Südafrikas. Mehr als 10.000 schwarze Schüler demonstrierten damals friedlich gegen die geplante Einführung von Afrikaans, die Sprache der weißen Unterdrücker, als Unterrichtssprache. Die nervösen Polizeibeamten fühlten sich von den fröhlich singenden Schülern angegriffen und erschoss während dieser Demonstration mehr als 600 Schüler. Hector Pieterson war der erste, der erschossen wurde. Das Bild des sterbenden Hector, der von einem Mitschüler getragen wird, ging um die Welt. Er war 13 Jahre alt.
Der Schüleraufstand war der Wendepunkt in der Geschichte Südafrikas und Beginn der landesweiten Proteste gegen das Apartheid-Regime.

Ich bemerke eine Gruppe, die sich um eine kleine, rundliche Frau scharrt. Sie hat ein ungewöhnlich gütiges Gesicht mit verschmitzten, freundlichen Augen. Offensichtlich hält sie ihre Gruppe mit ihrem Vortrag in Bann. Unser Guide bemerkt, daß ich diese Gruppe fasziniert beobachte. Er erzählt mir, dass die Frau mit der besonderen Ausstrahlung Thandi, die Schwester Hector Pieterson´s ist, und auf dem erschütternden Bild neben ihrem sterbenden Bruder zu sehen ist.

Nach 40 Jahren hat sie Frieden mit den Weißen geschlossen, hat es sich aber zur Aufgabe gemacht, in dem Museum an ihren Bruder und den Beginn der Aufstände gegen die Apartheid zu erinnern. Diese Aufstände führten zum Ende der Apartheid. „Auch er ist nicht umsonst gestorben, auch er hat geholfen, unser Land zu dem zu machen, was es heute ist.“

Ich bin beeindruckt von der großen Bedeutung dieses Ortes für die Geschichte Südafrikas. Es tut gut, dass viele Schulkinder am Memorial herumspringen, für´s Foto posen und ihre Hände im Wasser kühlen. Ein natürlicher Umgang mit der Geschichte. Soweto hat den Weg des Schüleraufstandes mit einer Tour nachgezeichnet und erklärt mit Text-Tafeln und Skulpturen am Straßenrand, was hier Entsetzliches geschah.

Die Famous Vilakazi Street

Unser Weg führt uns nun in die wohl berühmteste Straße Sowetos, sicher aber eine einmalige Straße weltweit: die Vilakazi Street. Sie ist die einzige Straße weltweit, in der 2 Friedensnobelpreisträger gleichzeitig wohnten – Nelson Mandela und Erzbischof Desmond Tutu. Und heute ein Touristenmagnet.
Das Haus von Nelson Mandela ist ein kleines, bescheidenes Steinhaus, heute Teil eines Museums. Leider haben wir keine Zeit für einen Besuch und können nur durch Gitterstäbe einen Blick darauf werfen. Das Wohnhaus von Desmond Tutu liegt neben jede Menge Touristenlokalen. Ich verstehe daher gut, daß er dort nur noch selten nächtigt. Auch wir haben keine Lust lange auf die weißen Mauern zu gucken und steigen bald wieder auf die Räder. Der letzte Teil der Tour führt uns durch das beschauliche, ruhige Orlando West, dem Beverley Hills Sowetos zurück zu Lebo´s.

Mein Fazit

Soweto hat mich überrascht. Seinem schlechten Ruf konnte die Stadt und ihre Bewohner an diesem Tag nicht gerecht werden. Es scheint eine Kleinstadt zu sein, wie überall auf der Welt. Zu keinem Zeitpunkt fühlte ich mich unsicher oder bedroht, ganz im Gegenteil. Hier hat man das Gefühl, daß schwarz und weiß eine Zukunft in einem gemeinsamen Südafrika haben können.

Gastbeitrag von Corinna aus der Girls on travel Gruppe. 

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